Wilma Castrian ist gestorben – ein persönlicher Nachruf

Wilma Castrian, geboren am 28.11.1932, ist am 30.12.2020 gestorben und ins Licht der Ewigkeit gegangen.

Für mich war sie immer die Frau Castrian, es lag mir fern, sie je „Wilma“ zu nennen, war sie doch die große Lehrerin der Psycho-Physiognomik, die mir wie niemand sonst diese Lehre  der Menschenkenntnis nach Carl Huter nahe brachte. Bevor ich sie kennen lernte, waren mir viele  Aussagen zu wertend, zu spekulativ und zu wenig wertschätzend. Frau Castrian aber lehrte mich mit ihrem tiefen Blick für philosophische und psychologische Zusammenhänge, mit ihrer immensen Kenntnis aus verschiedenen Wissensbereichen, dass das Erkunden eines Menschen immer eine Annäherung ist. Nie können wir einen Menschen endgültig beschreiben. Immer dürfen wir uns fragend nähern an seine Lebensthemen, seine Aufgaben, um ihn zu unterstützen, sich selbst besser zu erkennen und mit dieser Erkenntnis mehr Glück und Zufriedenheit zu leben. Ich bin unendlich dankbar, dieser klugen, lebenspraktischen Frau begegnet zu sein. In vielen persönlichen Gesprächen half sie mir, die Psycho-Physiognomik in größerer Tiefe, in weiteren Facetten zu verstehen und vor allen Dingen fortwährend kritisch mit den Aussagen der Psycho-Physiognomik umzugehen. Immer ermunterte sie mich, genau zu beobachten, zu überprüfen und auch bereit zu sein, bestehende Aussagen in Frage zu stellen. Der Mensch stand im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen, dem sie Hilfe und Unterstützung bieten wollte. Sie selbst war auch bereit, bestehende Aussagen zu hinterfragen und gegebenenfalls mit ihren eigenen Beobachtungen zu modifizieren. Das entspricht ganz dem Leitspruch der Aufklärung, dem wir Homöopathen folgen: Aude sapere.

Frau Castrian motivierte mich, eine Ausbildung in Psycho-Physiognomik zu gestalten, die auch den psychologischen Hintergrund und den Entwicklungsweg von Menschen mit berücksichtigt. Sie unterstützte mich in langen Diskussionen und Gesprächen bei vielen Fragestellungen, die bei der Erstellung meines Lehrbuches auftauchten. Überaus dankbar denke ich noch an diese Zeit, die sie mir während des Buchschreibens schenkte, wie sie mich ermunterte, weiter zu machen, nochmal daran zu feilen, bis es immer klarer wurde. „Ihre Fragen regen mich an, präziser zu werden“ sagte sie immer wieder zu mir. Als es endlich fertig war, meinte sie: „Das ist ein ungeheurer Dienst, den sie dieser Lehre getan haben. Hoffentlich werden es viele Menschen lesen.“ Nur mit ihrer Hilfe konnte ich dieses Werk schaffen. Tausend Dank, liebe Frau Castrian.

Sie ermunterte mich immer, meiner Liebe zur Kunst zu folgen. „Gehen Sie in die wunderbaren Museen, die Sie in München haben“ pflegte sie regelmäßig zu sagen und erzählte, wie sie stundenlang in Rom in der Sixtinischen Kapelle saß, um all diese großartigen Werke in sich aufzunehmen. Daraus entstanden dann letztlich die Dialogführungen: Kunst und Physiognomik, die wir in München ins Leben riefen. „Kunst nährt die Seele. Und das ist es, was der Mensch am meisten braucht“.

Ebenso wie die Kunst waren Literatur und Musik zwei Themen, in denen sie mich immer wieder inspirierte. Die Tage, die ich bei ihr in Schmedenstedt verbringen durfte waren durchweht von anregenden Gesprächen zu Literatur, Kunst und Musik.

So mischen sich heute in die Trauer um den Verlust dieser großartigen Frau Freude und Dankbarkeit über den Reichtum der Begegnungen, die mir mit ihr geschenkt waren.

Mit Angelus Silesius möchte ich mich von ihr verabschieden und ihr alles Gute wünschen auf dem weiteren Seelenweg:

Wilma Castrian

Wenn ich in Gott vergeh,
so komm ich wieder hin,
wo ich in Ewigkeit
vor mir gewesen bin.

Ich selbst bin Ewigkeit,
wann ich die Zeit verlasse
und mich in Gott und Gott
in mich zusammenfasse.

Hier fließ´ich noch
in Gott als Bach der Zeit.
Dort bin ich selbst das Meer
der ew´gen Seligkeit.

Wer kleine Sequenzen aus unseren zahlreichen Seminaren mit Frau Castrian oder aus aufgezeichneten Interviews mit ihr sehen möchte, findet diese vorerst hier auf unserer Website.