Heute möchte ich Ihnen die Psycho-Physiognomik ein bisschen näher bringen. Immer wieder erlebe ich es, dass wenn Menschen hören, dass dieses Gebiet eines meiner Fachgebiete ist, dann reagieren sie einerseits interessiert und andererseits auch verschreckt bis hin zu ablehnend. Häufig wird ja gerne abgelehnt, was ich nicht kenne. Da tauchen Fragen auf wie: Was sieht die jetzt von mir? In welche Schublade steckt die mich? Was könnte die von mir denken? Jeder von uns hat Anteile, die er lieber nicht möchte, dass das Gegenüber sie sieht. Das ist ganz normal, das sind die Masken, die wir mehr oder weniger alle tragen. Eine Frage könnte sein: wie weit bin ich bereit, vor mir selber einen Teil dieser Maske abzunehmen? Kann ich mir vorstellen, dass es mich entspannt, wenn ich in dem einen oder anderen Bereich mehr zu mir stehen kann und mich weniger maskieren muss? Die Psycho-Physiognomik kann dafür eine Hilfe sein.
Angelius Silesius, ein deutscher Lyriker und Theologe sagte: „Mensch werde wesentlich, denn wenn die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht“.
Wir sind alle seelisch-geistige Wesen, die in einem Körper stecken.
Und so sehe ich die Psycho-Physiognomik: sie hilft in erster Linie mir selbst, mich besser zu verstehen, zu mir zu stehen, sie bietet mir eine von vielen Möglichkeiten, mich zu erforschen, um immer wieder und noch tiefer anzunehmen, wie ich bin und dazu erst einmal „Ja“ zu sagen.
Ja-Sagen im dem Sinne wie: Das bin ich, das sind meine Stärken, das ist meine Qualität, das ist mein Potenzial und das sind meine Ressourcen.
Und Ja, das bin ich auch noch, diese Seiten von mir gestehe ich auch mir selbst ungern ein, da habe ich Entwicklungsmöglichkeiten, das sind Seiten in mir, die sich transformieren möchten. Jeder trägt Anteile in sich, die er lieber versteckt, bewusst oder unbewusst.
Die Psycho-Physiognomik bietet Hilfen, die unterschiedlichen Facetten in mir zu sehen und in ihrer Bedeutung zu erkunden. Der Mensch ist so vielfältig, dass wir ihn nie in eine Schublade stecken dürfen aufgrund irgendwelcher Formen. Und genau das ist die große Ressource der Psycho-Physiognomik nach Carl Huter: Mit dieser Lehre lernen wir, ganz wesentlich auf die Ausstrahlung zu achten, auf die Qualität der Haut, der Muskulatur, auf die Stimme, die Gestik, die Mimik und die Bewegungen. Es gilt immer, alle Zeichen zu kombinieren, denn alles was sich zeigt, lebt sich auch zu seiner Zeit.
Und so finde ich es immer wieder spannend, die Menschen zu fragen, wie sie denn diese eine oder andere sichtbare Anlage leben, wie sie ihr Leben bereichert und wo sie ihr Leben erschwert. Und so ist die Psycho-Physiognomik für mich ein Weg, das Wesen des Menschen zu eruieren, um jedem zu helfen, sich wirklich ganz zu leben. Alle Anlagen, die ich nicht lebe, die drücken meine Energie, die halten mich klein, sie machen mich abhängig von der Meinung anderer, sie führen dazu, dass ich mein Leben nicht voll lebe. Und damit gestalte ich mir mein „Schicksal“. Schicksal, das ich immer gerne in der wörtlichen Übersetzung verstehe als „geschicktes Heil“ – etwas das mir helfen will, aus einer gedanklichen und emotionalen Sackgasse heraus zu finden.
So ist die Psycho-Physiognomik in erster Linie eine Möglichkeit, mich selbst zu erkennen und natürlich auch den Anderen damit immer besser zu sehen, wie er ist. Aber bitte nicht in dem Sinne, dass ich jetzt über den Anderen urteile, ihn gar verurteile. Das ist leider in der Geschichte der Menschheit immer wieder geschehen. Jedes Wissen kann missbraucht werden. Das erleben wir leider viel zu häufig. Hier kommt die Frage der Ethik ins Spiel und die Psycho-Physiognomik nach Carl Huter möchte genau die Entwicklung unserer besten ethischen, verantwortlichen Seiten in uns fördern. Indem ich eben gerade nicht Formendeuterei betreibe, sondern die Strahlkraft des ganzen Menschen, aber auch jedes Zeichens wahrnehme.
Psycho-Physiognomik ist immer Wahrnehmensschulung und die hört ein Leben lang nicht auf. Wir können immer wieder neue Tiefen in uns ausloten und uns weiter erforschen und weitere Facetten von uns ans Licht bringen. Alles was ans Licht kommt, heilt auch. So heißt es schon im Tempel zu Delphi: Mensch erkenne dich selbst – in dir selbst.
Insofern ist die Kenntnis der Psycho-Physiognomik immer auch eine Verantwortung – für mich und für den Anderen. Für Jeden, dem andere Menschen anvertraut sind, sei es als Eltern, als Lehrer, als Vorgesetzter, als Arzt, als Polizist, als Verkäufer, als Coach oder wo auch immer wir Verantwortung für Andere übernehmen, da sind wir als Menschen verpflichtet, den Anderen in der für ihn bestmöglichen Form zu führen, zu leiten und zu unterstützen.
Die Psycho-Physiognomik ist dabei eine wunderbare Möglichkeit eines Erkenntnisweges und sie kann damit einen unschätzbaren Dienst in der gegenseitigen Verständigung und im gegenseitigen Verständnis leisten.
Somit ist die Psycho-Physiognomik auch in Krisenzeiten eine Chance, tiefer zu blicken, die Lernaufgaben des eigenen Lebens zu erkunden, um innerlich nochmal ein Stückchen weiter zu werden.
Und welche Möglichkeiten gibt es, die unterschiedlichen Facetten von mir selbst zu leben?
- Selbsterforschung – durch äußere und innere Betrachtung mich immer mehr kennen lernen.
- Atem- und Meditationsübungen.
- Kreatives Gestalten.
- Singen – Musizieren.
- Lebensziele formulieren und daraufhin arbeiten – in jeder Lebensphase immer wieder neu.
Und zum Abschluss noch ein Zitat:
„Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir unzulänglich sind. Unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich machtvoll sind. Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit. Wir fragen uns: Wer bin ich eigentlich, dass ich leuchtend, hinreißend, talentiert und fantastisch sein darf? Wer bist du denn, es nicht zu sein? Du bist ein Kind Gottes. Dich selbst klein zu halten, dient der Welt nicht. Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn du dich kleiner machst, damit andere um dich herum sich nicht verunsichert fühlen. Wir sollen alle strahlen wie die Kinder. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes zu verwirklichen, die in uns ist. Sie ist nicht nur in einigen von uns; sie ist in jedem Einzelnen. Und wenn wir unser eigenes Licht erstrahlen lassen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun. Wenn wir uns von unserer eigenen Angst befreit haben, befreit unsere Gegenwart andere ganz von selbst.”
Marianne Williamson